Ein persönlicher Bericht von Wolf Bergelt.
Als ich – weil im schönen Köpenick mal wieder ein Naziauflauf und wilde Polizeieinsätze den Verkehr lahmgelegt hatten – etwas zu spät an der Siegessäule ankam, bot sich mir ein Bild friedlicher Unbekümmertheit. Manche unterhielten sich und scherzten ein wenig, einige standen noch etwas scheu für sich und wieder andere nestelten an kleinen Transparenten herum, während Susanne (Wiest) dabei war, Neuankömmlingen eine goldene Krone aufs Haupt zu setzen. Und so geschah es auch bei mir. Gleich, nachdem ich ihr die Hand gereicht und mich vorgestellt hatte, war ich schon bekrönt. Was für eine schöne symbolische Begrüßungsgeste, mit einer solchen Selbstverständlichkeit vollzogen, daß der atmosphärische Nachmittagsgeistkeim damit schon gelegt war. Kurz darauf hörte und sah ich, wie Ralph (Boes) laut mit der Siegessäulenspitze zu reden schien und dann mit dem Fotoapparat auf die andere Seite flitzte. Und tatsächlich, kaum hatte ich den Blick hinauf gerichtet, konnte ich sehen, wie inzwischen einige Aktivisten ganz oben ein orangegelb leuchtendes Transparent für das Bedingungslose Grundeinkommen angebracht hatten. Noch ein wunderbares Symbol, daß bei mir sogar ein bißchen Gänsehaut erzeugte: Die “Eroberung” einer Kriegssäule für einen der menschenfreundlichsten Zukunftsgedanken, die es gibt. O ja, ab heute soll sie für den Sieg des Grundeinkommens stehen.
Irgendwann ging ein fast gemütlicher Ruck durch alle und wir brachen in Richtung Tiergarten auf, wo Susanne und ihr Mann schon ein geeignetes Plätzchen für alle erkundet hatten. Als wir gerade die Straßenunterführung hinabsteigen wollten, tauchte ein junger Mann auf, der an Susanne herantrat und sich mit Tränen in den Augen tief bewegt für ihre Petition bedankte. Er mußte ganz schnell zurück zum Bahnhof, weil sein Zug nach München fuhr und war nur für diesen einen Augenblick gekommen. Was für ein anrührendes Ereignis, daß mich tief beeindruckt hat. Wieviel Sehnsucht nach einer anderen Welt und wieviel Dankbarkeit muß in diesem wunderbaren jungen Menschen wohnen.
Der Platz, an dem wir uns dann nach etwa 500 Metern niederließen, war nichts weniger als grundeinkommenstraumtauglich: eine wunderschöne, licht- und schattendurchsetzte, von schönen alten Bäumen umgebene große Lichtung, auf der für uns alle Platz genug war. Was nun kam, war in keiner Weise spektakulär, sondern genau das, was es sein sollte: ein bedingungsloses Kaffeetrinken halt. Und genau das war das Schöne daran. Keine lauten Parolen und agitatorischen Reden oder andere zwanghaften Bemühungen, sondern einfach nur gemeinsames Sein, freundliches, heiteres, lebendiges Kommunizieren in kleineren oder größeren liegenden, sitzenden, stehenden Grüppchen, fast schon ein bißchen (grundeinkommens)familiär. Dann noch hier und da ein plötzlich auftauchendes, neues Gesicht, eine Kamera, am Rande ein kleines Interview, eine anrührende spontane kleine Traumrede von Günter (Soelken), den diese wunderbare Zukunftstraumzauberbaumatmosphäre genauso zu erfüllen schien, wie all die anderen bekannten und unbekannten Gesichter, über die ich meinen Blick dann schweifen ließ. Nein, wir brauchen keine Führergestalt, wie von einem Anwesenden (in bester Absicht) angedacht. Wir brauchen genau diesen heiteren Raum von freundlicher, sonniger, gelöster, achtsamer Zwischenmenschlichkeit, wenn die Idee ihr Wesen nicht verlieren will. Alles andere ist nur eine Frage der Zeit.
Als ich dann im Nachgefühl dieses Nachmittags langsam durch den Tiergarten in Richtung Brandenburger Tor zur S-Bahn ging und sah, wie unzählige Menschen verschiedenster Nationen genauso miteinander diesen Tag verbrachten wie unser aufrechtes Grundeinkommenshäuflein, stieg unwillkürlich eine menschheitliche Zukunftsvision in mir auf und ich fühlte mich ein bißchen wie im Paradies